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Nachdem Christoph Kucklick verdeutlicht hat, dass herkömmliche Vorstellungen von Menschsein (Rationalität, Wissen um Zusammenhänge) nicht mehr tragfähig in einer granularen Gesellschaft sein können, wo Computer fast alles besser und schneller können, fragt er sich, wie denn ein zukünftiges Menschenbild aussehen könnte, mit dem wir unsere Einzigartigkeit sichern. Wie sieht dieses Bild aus und wie tragfähig sind die hiermit verknüpften Hoffnungen?

Dieser Artikel ist Bestandteil einer Artikelserie zur „granularen Gesellschaft“

  1. Granularität oder das Ende der Gleichheit
  2. Differenz-Revolution: Vom Individuum zum Singularium
  3. Intelligenz-Revolution: Nutzen und Kosten der künstlichen Intelligenz
  4. Kontroll-Revolution: Wir werden vorhersagbar, weil wir uns vorhersagbar machen
  5. Fazit: Der neue Mensch der granularen Gesellschaft

 

Unterschiedliche Menschenbilder werden skizziert, deren Zukunftsfähigkeit wird bereits während der Skizzierung eingeschätzt:

  • Der verteilte Mensch: Gemeint ist hier wohl, dass menschliche Fähigkeiten verteilt sind und nicht mehr nur auf eine einzeln wahrnehmbare Person bezogen werden können.
  • Der irritierbare Mensch: Dieser erfasst kreativ unterschiedliche Wissensbestände in neuen Zusammenhängen und startet ergebnisoffene Prozesse.
  • Der spielende Mensch: Immer mehr Zeit wird fürs Spielen aufgewandt, wobei aber unklar bleibe, wie damit das menschliche Überleben gesichert werden könne.
  • Der empathische Mensch hat Potentiale, weil er mehr könne als ein Computer, allerdings nur dann, wenn die Empathie nicht berechenbar wird.
  • Der unvernünftige Mensch soll nicht zur Zukunft des Menschen gehören, weil das ein negatives Modell ist, was zu sehr noch mit dem überlebten Modell von Rationalität in Verbindung stehe.

Diese Zusammenstellung wirkt einigermaßen willkürlich und der Ausschluss des letzten Modells kann auch nicht sonderlich überzeugen, schließlich steht die Vernunft in einem gewissen Gegensatz zur menschlichen Freiheit. Insgesamt konnte mich die Auseinandersetzung Kucklicks mit diesen Modellen nicht überzeugen, wobei sich dieser anschließend mit einigen sehr tiefreichenden philosophischen Positionen befasst, deren Bezug zum Thema des Buches nicht einfach herzustellen ist.

Interessant ist allerdings das Fazit nach dieser Fülle an Bespielen und Verweisen:

Die neue Zeit verlangt aber gesteigerte Unberechenbarkeit, ein Moment des Launischen in allem, des Aufbrausenden sowie der Fähigkeit zur Überraschung, die Kunst der Verblüffung. (Zitatende)

(Sofern in diesem Blogbeitrag nicht anders angegeben, stammen die Zitate aus dem oben mit Amazon-Link angesprochenen Buch: Christoph Kucklick, Die granulare Gesellschaft. Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst, Ullstein Berlin 2014)

Die Forderung nach Überraschung und Verblüffung ist deshalb interessant, weil es den Gegenpol zum Konzept der Berechenbarkeit darstellt. Computer-Algorithmen, Künstliche Intelligenz und Big Data setzen auf Berechenbarkeit, positionierten sich Menschen aber als unberechenbar, dann laufen die dahinter stehenden Herrschaftskonzepte gegen die Wand.

Fazit zu Christoph Kucklicks granularer Gesellschaft

Obwohl ich an vielen Stellen viel Detailkritik geübt habe, kann ich als Fazit keine Globalkritik formulieren. Das Buch ist gut lesbar und gibt auch viele Hinweise, um gegenwärtige oder zukünftige Trends einer Gesellschaft zu erfassen, bei der Computer, Internet und komplexe Algorithmen immer wichtiger werden. Das Buch unterscheidet sich auch deutlich von anderen Werken, bei denen kaum Zwischentöne zwischen Euphorie oder kulturkritischer Verdammnis zugelassen sind.

Hilfreich ist das Buch, wenn man Details des umfassenden Digitalisierungsprozesses genauer erfassen möchte. Weniger gut gefallen hat mir, dass insgesamt zwar kritische Sichtweisen zugelassen werden, dass aber alles im allem eine eher optimistische Haltung an den Tag gelegt wird, wobei mir unklar geblieben ist, worauf der Autor seinen Optimismus gründet. Vielleicht ist es so, dass Christoph Kucklick die Entwicklung als unaufhaltsam einschätzt und wer möchte sich schon einer unaufhaltsamen Welle des Fortschritts entgegenstellen?

Auch ich kann mir auf Aufhalten oder Zurückdrehen der Digitalisierung nicht wirklich vorstellen und wünschenswert ist die Rückkehr in eine Gesellschaft ohne Computer-Nutzung und -Vernetzung auch nicht. Daraus folgt aber nicht, dass jeder aktuelle Trend als unvermeidlich hingenommen werden muss. Wenn man sich beispielsweise die grotesken Entwicklungen bei der digitalen Überwachung der eigenen Körperdaten ansieht, dann sollte deutlich werden, dass damit keine hilfreiche Strategie sondern übertriebenes Optimierungsdenken unterstützt wird.

Ich habe das Buch von Christoph Kucklick zur granularen Gesellschaft deshalb mit Gewinn gelesen, weil dieser Auswüchse wie Begrenzungen der Digitalisierung so schildert, dass man ihre Relevanz konkreter einschätzen kann. Dass Kucklick selbst oft nicht in der Lage ist, seine Erkenntnisse zu stringenteren Aussage zu bündeln, muss hingenommen werden. Besonders widersprüchlich sind seine Einschätzungen von Automatismen auf Basis von Korrelationen. So sollen Wissen ersetzen, doch gleichzeitig wird gesagt, dass Korrelationen oft nur Scheinkorrelationen sind, die nur Müll als Wissen erscheinen lassen. Ebenso rätselhaft ist es für mich, dass nicht ausreichend betont wird, dass die Aussagen der Promotoren von Big Data nicht auf ihre Gültigkeit geprüft werden können, weil sie keine Transparenz bei ihren Vorgehensweisen zulassen.

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Gut gefallen haben mir die Aussagen zu einem zukünftigen Menschenbild. Tatsächlich wird der Trend zur Digitalisierung und der digitalen Einordnung von sozialen Verhaltensweisen immer stärker werden. Wer als Mensch immer genauer berechnet und wie ein Versuchstier bei Skinner gesteuert werden soll, der wird sich dem nur entziehen können, wenn er sich um mehr Unberechenbarkeit bemüht: Mehr Unberechenbarkeit wagen, dass wird die Zukunftsaufgabe von uns allen.

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