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Im Rahmen des Themas Big Data ist der Weg nicht weit, um sich mit künstlicher Intelligenz zu befassen. Dies gilt auch für das hier verlinkte Buch von Christoph Kucklick. Ein Problem mit der künstlichen Intelligenz ist, dass es bisher noch niemandem gelungen ist, die natürliche Intelligenz zu definieren. Das ist auch Kucklick bekannt und daher tut er sich auch schwer, mit dem Begriff Intelligenz umzugehen.

Kucklick verwendet eine eigene Intelligenz-Definition, um auf den eher ungewohnten und ungewöhnlichen Aspekt der „Überraschung“ zu fokussieren.

Intelligenz bedeutet zu überraschen.

Und so sollten wir auch mit Maschinen verfahren. Wenn sie überraschende Dinge tun, die wir nicht als Funktionsfehler erachten, dann sollten wir von Intelligenz sprechen. (Zitatende)

(Sofern in diesem Blogbeitrag nicht anders angegeben, stammen die Zitate aus dem oben mit Amazon-Link angesprochenen Buch: Christoph Kucklick, Die granulare Gesellschaft. Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst, Ullstein Berlin 2014)

Allerdings ist der Begriff Überraschung noch schwammiger als der Begriff Intelligenz. Kucklick wird tatsächlich von einem Saugroboter überrascht, wenn dieser einen neuen Weg durch die Wohnung findet. Wissenschaftler hätten festgestellt, dass Nutzer von Saugrobotern diesen eine „eigene Persönlichkeit“ unterstellten. Kucklick vergisst bei diesen Beispielen, dass auch schon früher Tieren und Maschinen Intentionalität unterstellt wurde, worüber die entsprechenden Objekte und Akteure nicht wirklich verfügen konnten: Menschen scheinen so gestrickt zu sein, dass sie ihre eigene Sicht auf ihre Welt (intentionales Handeln) auf andere Objekte, Tiere oder Pflanzen übertragen. Da freut sich die Kaffeemaschine, wenn sie arbeiten darf oder murrt, wenn sie lange nicht entkalkt wurde.

Weite Teile dieses Kapitels wiederholen nur dass, was die Befürworter der starken künstlichen Intelligenz gerne behaupten, ohne es jeweils konkret belegen zu können. Können Computer wirklich Musik komponieren oder Zeitungsartikel schreiben? Oder sind die zugrundliegenden Vorgehensweisen nicht einfach nur geschickt algorithmisiert? Offensichtlich sind bestimmte Zeitungsartikeln (beispielsweise zu Sportereignissen) so sehr nach einem simplen Muster gestrickt, dass man diese vereinfachten Vorgehensweisen beim Schreiben an Maschinen delegieren kann.

Innovative Erfindungen haben stets ein hohes Überraschungspotential. Die ersten Dampfmaschinen und Autos wurden sicher als überraschend erlebt. Und selbstfahrende Google-Autos können zunächst Überraschung auslösen. Doch würde ihr flächendeckenden Einsatz über kurz oder lang den Überraschungseffekt gegen Null streben lassen, wenn selbstfahrende Autos denn funktionieren würden, was gegenwärtig noch völlig unklar ist. Christoph Kucklick hatte wohl auch Zweifel an deren Potentialen, nachdem er mal eine Fahrt mit einem entsprechenden Auto erleben durfte. Auch von selbstfahrenden Autos muss erwartet werden, dass sie mindestens genauso gut berechenbar ihre Aufgaben erfüllen, wie herkömmliche Transportmittel; die Algorithmisierung ist hier aber ziemlich schwierig, weil sich diese selbstfahrenden Autos genauso über Verkehrsregeln hinwegsetzen müssten, wie es menschliche Fahrer jetzt schon tun, wenn es die Flüssigkeit des Verkehrs erfordert.

Das alles hält Kucklick allerdings nicht davon ab, die übliche und problematische Vorgehensweise zu wählen, wenn man sich unkritisch mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzt: Einzelne Erfolge werden umstandslos zu einer Vision grenzenloser Wirksamkeit hochgerechnet.

Vielmehr müssen wir uns in der granularen Gesellschaft der Erkenntnis stellen, dass fast alles, was Menschen können, Maschinen irgendwann besser können. (Zitatende)

Wobei mit „fast“ und „irgendwann“ viele Fragen noch offen bleiben müssen.

Kucklick geht davon aus, dass die Intelligenz-Revolution die wirtschaftliche Ungleichheit verstärkt, Arbeitsplätze bedroht und die verstärkte Kooperation mit Maschinen verlangt. Womit Kucklick allerdings wiederum auf Phänomene verweist, wie sie typisch für die kapitalistischen Wachstumsprozesse der Moderne seit Jahrhunderten beobachtet werden können.

Dass die Ungleichheit im Laufe der letzten Jahre wieder zunimmt, nachdem sie in den ersten Nachkriegsjahrzenten partiell abgenommen hat, ist allerdings keine allzu neue Beobachtung. Digitalisierung führe zu mehr Ungleichheit, meint Kucklick. Entwickelt wird hier eine moderne Form der Polarisierungsthese aus den 1970er-Jahren, die soziogisch eher umstritten war und nie empirisch gut fundiert werden konnte. Passend ist allerdings der Verweis auf Untersuchungen von James K. Galbraith zu sozialen Wandlungsprozessen in den USA, wo eine Polarisierungsthese schon immer mehr suggestive Überzeugungskraft hatte, als in den westeuropäischen oder skandinavischen Ländern. Dieses seriöse Beispiel wird allerdings konterkariert durch das zweite Beispiel WhatsApp-Verkauf. Die neuen Blasen der New-Ökonomie der Internet-Wirtschaft sollten nicht übersehen lassen, dass es noch nicht so lange her ist, als entsprechende Blasen der alten New-Ökonomie quasi über Nacht platzten.

Da wundert man sich kaum noch, wenn vom der Old-Ökonomie ein ziemlich unrealistisches Bild gezeichnet wird:

In traditionellen, »analogen« Märkten gehen wir davon aus, dass ein Arbeiter, der 50 Prozent härter arbeitet, auch einen um rund 50 Prozent höheren Wert erzeugt und daher auch 50 Prozent mehr Einkommen verdient hat. (Zitatende)

Genauso wenig begründet oder belegt sind dann Behauptungen wie die folgende:

Firmen, die sogenannte Big-Data-Technologien einsetzen, sind etwa meist deutlich produktiver – und entsprechend mehr Geld verdienen ihre Mitarbeiter. (Zitatende)

Hierzu fällt mir spontan Amazon als Gegenbeispiel ein. Es folgen bei Kucklick weitere Beispiele, wo extreme Prognosen (90 Prozent Arbeitsplatzverluste) mit Geschichten veranschaulicht werden, die eher unspektakulär wirken. Werden Ärzte arbeitslos, weil Narkose-Roboter zum Einsatz kommen? Wird innovative Spracherkennungssoftware Call-Center Agenten vollständig ersetzen können?

Für mache Leser mögen aber die Schlussfolgerung eines Forschungsteams recht sympathisch wirken. Empathie, Sensibilität, Verhandlungskunst, Kreativität und Fingerfertigkeit können nicht so ohne weiteres auf Maschinen übertragen werden. Allerdings sind soziale und kreative Anpassung seit jeher typische Merkmale menschlicher Handlungsmöglichkeiten, ohne die weder ein Handwerker noch ein Denker auskommen kann.

Doch Kucklick ist sich nicht gewiss, ob dieses eher optimistische Modell greift:

Es ist denkbar, dass die Computer so gut werden, dass sie bald auch die Kreativen, Gebildeten, die Feinsinnigen und Freundlichen verdrängen – und die Menschheit das Rennen gegen die Technologie verliert. (Zitatende)

Die Lösung kann für ihn nur sein: Mensch und Computer müssen sich freundschaftlich verbinden: „Co-Evolution von menschlicher und maschineller Intelligenz.“ Es bleibt abzuwarten, ob wir diese Konvergenz der Intelligenzen noch erleben werden.

Dieser Artikel ist Bestandteil einer Artikelserie zur „granularen Gesellschaft“

  1. Granularität oder das Ende der Gleichheit
  2. Differenz-Revolution: Vom Individuum zum Singularium
  3. Intelligenz-Revolution: Nutzen und Kosten der künstlichen Intelligenz
  4. Kontroll-Revolution: Wir werden vorhersagbar, weil wir uns vorhersagbar machen
  5. Fazit: Der neue Mensch der granularen Gesellschaft

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